Nachhilfeunterricht in Mathe, Förderkurse, Englischunterricht ab Kindergartenalter… Eltern tun anscheinend alles um ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen. Trotzdem hatten noch nie so viele Kinder Lernstörungen wie heute. Was läuft falsch?
Was brauchen Kinder, um lernen zu können?
Die Vorstellung, dass Denken und Lernen nur das Gehirn betrifft und der restliche Körper hauptsächlich dazu da ist, das Gehirn zu schützen und es von A nach B zu transportieren ist längst veraltet. Um effektiv lernen zu können braucht ein Kind weit mehr als eine Person, die ihm Informationen liefert während es möglichst unbeweglich auf einem Stuhl sitzt. Ideales Lernen geht auf die Eigeninitiative des Kindes zurück. Es lernt freiwillig, mit Freude, ohne Prüfungsstress und ohne elterliche und gesellschaftliche Erwartungen. Und: Kinder brauchen Bewegung, um effektiv lernen zu können!
Warum ist Bewegung so wichtig fürs lernen?
Das Gehirn wird besser mit Sauerstoff versorgt
Sauerstoff ist für das Lernen ebenso wichtig wie für das Leben überhaupt. Obwohl das Gehirn nur ein fünfzigstel des gesamten Körpergewichts ausmacht verbraucht es doch ein fünftel des gesamten Sauerstoffs. Wer kann nicht bei einem Spaziergang besser nachdenken? Schon allein beim Gehen wird über 10% mehr Blut ins Gehirn gepumpt, was zur erhöhten Sauerstoffzufuhr des Gehirns führt. Kein Wunder also, dass sich Kinder beim Lernen lieber bewegen, statt still zu sitzen.
Durch Bewegung vernetzen sich die Nervenzellen im Gehirn
Das Gehirn eines Neugeborenen besteht bei seiner Geburt aus über 100 Milliarden Nervenzellen. Funktionsfähig sind diese Zellen erst wenn sie miteinander verknüpft sind. Je mehr Reize durch Bewegung zum Gehirn gelangen, desto komplexer vernetzen sich die Nervenzellen miteinander. Die Vernetzung der Nervenzellen ist also abhängig von den Aktivitäten des Kindes: Je mehr sich das Kind bewegt, je mehr es berührt, etc. desto dichter wird das Netz der Nervenzellen (desto mehr „Straßen“ werden zwischen den Nervenzellen gebaut). Je dichter wiederum das Netz der Nervenzellen (das „Netz aus Straßen“) ist, desto leichter kann das Kind Neues lernen. Je mehr das Kind lernt und je mehr Bewegungen und Fertigkeiten das Kind beherrscht, desto weniger Energie braucht sein Gehirn um effizient zu funktionieren. Und wird die gleiche Tätigkeit öfter wiederholt, so wirkt sich das positiv auf die Genauigkeit und Schnelligkeit der Reaktion aus (die „Straßen“ werden breiter und dadurch leichter zu finden und zu „befahren“).
Was passiert also ganz von allein, während Kinder klettern, balancieren, sportlich aktiv sind oder „nur“ mit anderen Kindern spielen?
- Sie lernen ihren Körper kennen und ihre Grenzen einschätzen. („Ich bin schon so groß dass ich den untersten Ast des Baumes erreichen kann. Den zweiten Ast erreiche ich nur wenn ich hoch springe und den dritten erreiche ich noch nicht…“.)
- Sie lernen (am eigenen Körper statt theoretisch aus Büchern) wie sie mit Schwerkraft und Gleichgewicht umgehen können. (Wenn ich auf der Mauer balanciere muss ich mich konzentrieren. Wenn ich die Arme zur Seite strecke geht es leichter. Wenn ich das Gleichgewicht verliere falle ich runter…“.)
- Sie lernen verschiedene Gegenstände mit unterschiedlichem Gewicht, unterschiedlicher Größe und aus verschiedenen Materialien kennen und deren Wirkung einschätzen. („Den kleinen leichten Softball kann ich ohne Anstrengung weit werfen. Wenn mir der harte Fußball gegen meinen Kopf knallt, dann tut es mir weh…“.)
- Sie lernen mit Herausforderungen umzugehen, nach Lösungen zu suchen und sich bzw Ihre Umwelt dementsprechend anzupassen. („Wenn ich über diesen Bach will muss ich entweder Anlauf nehmen und drüber springen oder ein Brett darüber legen.“)
- So ganz nebenbei kommt im Gehirn mehr Sauerstoff an.
- Und: Bei jeder neuen Bewegung, bei jeder neuen Herausforderung vernetzen sich die Nervenzellen im Gehirn. Je komplexer Nervenzellen vernetzt sind, desto leichter werden Probleme gelöst – sei es beim Spielen oder in der Schule.
Lasst eure Kinder rutschen, klettern, schaukeln, rollen, balancieren, tanzen und Ball spielen!
Lasst ihnen Zeit in einer stressfreien Umgebung Eigeninitiative zu ergreifen und betrachtet das kindliche Spielen und Toben nicht als sinnlose Zeitverschwendung sondern als Grundvoraussetzung für die optimale Entwicklung des kindlichen Gehirns. Und übrigens: Die Plastizität des Gehirns bleibt auch im Erwachsenenalter erhalten…