Draußen Spielen ist gefährlich???

Wenn draußen Spielen "gefährlich" ist: Wie "gefährlich" ist es, wenn Kinder NICHT draußen spielen dürfen?
Draußen Spielen

Kinder könnten sich draußen verletzen. Oder sie könnten entführt werden. Im Wald spielen geht auch nicht, da lauern gefährliche Insekten und auf Bäume klettern ist sowieso ein absolutes no go. Laut einer Umfrage im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung ist jedes zweite Kind in Deutschland zwischen vier und zwölf Jahren noch nie auf einen Baum geklettert. Und zwar nicht weil sie nicht können oder wollen, sondern weil sie nicht dürfen.1

Woher kommt die Angst der Eltern?

Laut White geben 82% der Mütter mit Kindern im Alter von drei bis zwölf Bedenken bezüglich der Kriminalität und Sicherheit als einen der Hauptgründe an, warum sie ihre Kinder nicht mehr im Freien spielen lassen.2  Diese Angst ist nicht ganz unbegründet. Kinder verletzen sich nun mal beim Spielen, Unfälle im Straßenverkehr kommen täglich vor und auch mit Entführungen und Gewaltverbrechen an Kindern und Jugendlichen werden wir (dank der Medien) fast täglich konfrontiert. Diese einzelnen Schicksale sind grausam und sollen hier weder kleingeredet noch verschwiegen werden. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Statistiken: Laut Warwick Cairns, dem Autor von “How to Live Dangerously” müsste ein Kind etwa 600.000 Jahre unbeaufsichtigt draußen sein um gekidnappt zu werden.Die gefühlte Angst ist also um ein Vielfaches größer als die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Entführung kommt. 

Wie gefährlich ist die Natur?

Wird am Wandertag ein Ausflug in den Wald geplant, ist die größte Angst der Eltern, ihr Kind könnte von einer Zecke gebissen werden. Auch diese Angst ist nicht ohne Grund entstanden: Berichte über Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis sind in allen Zeitungen zu lesen. Aber wie gefährlich sind Zecken wirklich? Auch hier lohnst sich ein Blick auf die Zahlen:

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wird durch das FSME-Virus verursacht, das durch Zecken auf den Menschen übertragen wird. Ein hoher Anteil der Infektionen (70-95%!) verläuft jedoch asymptomatisch oder die zweite Krankheitsphase bleibt aus. 4
Mit Borreliose sind etwa 5- 35% der Zecken befallen. In Deutschland ist nach bisherigen Erkenntnisse nach einem Zeckenstich bei 1,5 – 6 % der Betroffenen mit einer Infektion zu rechnen. Eine manifeste Erkrankung kommt jedoch nur bei 0,3–1,4 % vor.5

Selbst in den Risikogebieten Bayern und Baden Württemberg sind im Jahr 2016 laut einer Studie vom Robert Koch-Institut von 100.000 Kindern zwischen 0 und 14 Jahren durchschnittlich 0,5 – 1 Kind an FSME erkrankt. Das Unfallrisiko im Straßenverkehr lag im gleichen Jahr dagegen bei 262 Verunglückten je 100.000 Kinder. Selbst wenn man Borreliose mit dazu rechnet, liegt die Wahrscheinlichkeit bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt zu werden deutlich höher, als die Wahrscheinlichkeit wegen eines Zeckenbisses schwer zu erkranken.6


Natürlich sollte man Kinder trotzdem möglichst gut vor Zecken schützen (Wer googelt, findet unzählige praktische Tipps diesbezüglich). Der Vergleich der Gefahr von Zeckenbissen mit der Gefahr im Straßenverkehr soll lediglich verdeutlichen, dass unsere gefühlte Angst nicht unbedingt in Relation zur tatsächlichen Gefahr steht: Wollten wir unsere Kinder von möglichst vielen Gefahren fernhalten, müssten wir sie konsequenterweise gänzlich vom Straßenverkehr fernhalten und zwar sowohl als aktiver Teilnehmer (mit dem Fahrrad) als auch als passiver Teilnehmer (auf dem Rücksitz). Für die meisten jedoch dürfte diese Option völlig absurd klingen, während der Abstand zur Natur als “normal” empfunden wird.  

Vielleicht sollten wir uns die Frage mal andersrum stellen:

Wie “gefährlich” ist es, wenn Kinder keinen Kontakt zur Natur haben? Was passiert mit Kindern wenn wir sie nicht auf Bäume klettern lassen, wenn wir sie ständig überwachen und wenn wir sie nicht draußen spielen lassen?

Wie sollen Kinder das Aufstehen lernen, wenn sie nie hinfallen dürfen?

Wie sollen Kinder ihre Fähigkeiten einschätzen lernen, wenn sie nie Grenzerfahrungen machen dürfen?

Wann haben Kinder die Möglichkeit kleine Erfolgserlebnisse zu sammeln, wenn sie nicht selbstwirksam sein dürfen?

Wie sollen Kinder die Natur als etwas schützenswertes wahrnehmen, wenn sie ohne Kontakt zu ihr aufwachsen?

Wo sollen Kinder Gefahren einschätzen lernen, wenn nicht beim freien Spiel in der Natur?

Wie sollen Kinder es schaffen Selbstvertrauen zu erwerben, wenn wir kein Vertrauen in sie haben?

Soll ich mein Kind in der Natur spielen lassen?

Die eigene Angst vor möglichen Gefahren als Kriterium für die Beantwortung dieser Frage zu nehmen ist eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist sich Gegenfragen zu stellen wie: Welche Kindheit möchte ich für mein Kind? Welche Erfahrungen darf und soll mein Kind machen? Die Entscheidung liegt bei uns als Eltern: Wollen wir uns vom aktuellen Trend der „Angsthysterie“ mitreißen lassen oder konzentrieren wir uns lieber darauf, was gut für unser Kind ist und treffen je nach Situation verantwortungsvolle Entscheidungen?

LITERATUR:

1  Focus: 20.02 2015: Verboten auf bäume klettern-Warum kinder heute keinen Bezug mehr zur Natur haben

www.whitehutchinson.com/children/articles/childrennature

3  Warwick Cairns: “How to Live Dangerously”

 Robert Koch – Institut: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/17_17.pdf?__blob=publicationFile

5  Robert Koch – Institut: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_LymeBorreliose.html

www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/UnfaelleKinder5462405167004.pdf?__blob=publicationFile

Newsletter

Du willst regelmäßig interessante Neuigkeiten von uns zum Thema „Kindheit in Bewegung“ erhalten? Dann trage dich hier ein und du erhältst kostenlos unseren Newsletter, den du natürlich jederzeit wieder abbestellen kannst:

Der Newsletter-Versand erfolgt im Rahmen der Datenschutzerklärung.